Pietas
Mit dem Begriff der Pietät verbinden wir heute fast ausschließlich das ehrende Andenken an einen verstorbenen Angehörigen. Im Englischen hat "piety" eine andere Bedeutung, nämlich die Frömmigkeit, die Pflicht gegenüber Gott. Beide Begriffe leiten sich, wie so viele Ausdrücke unserer Sprache, von einem lateinischen Wort ab PIETAS. In seinem Ursprungsland ist dieser Begriff weitaus vielschichtiger als in den modernen Adaptionen. Nur unzureichend mit "Ehrfurcht" zu übersetzen ist "pietas" die typisch römische Tugend der Pflichterfüllung gegenüber den Göttern, dem Vaterland, den Eltern und den Kindern. Viele römische Erzählungen illustrieren, welche immense Bedeutung dieser Tugend zukam.
Der erste Tempel der Pietas in Rom wurde im Jahre 181 v. Chr geweiht. Wo er stand befand sich einstmals ein Gefängnis hier soll der Sage nach eine Tochter ihren dort schmachtenden alten Vater mit ihrer Milch vor dem sicheren Hungerstod bewahrt haben. Münzen aus der Zeit der römischen Republik zeigen weitere Geschichten, die die Bedeutung der Pietas für den Römer illustrieren. Um 108 v. Chr. ließ M. Herennius einen Denar prägen, der auf der Vorderseite den Kopf der Pietas zeigt, auf der Rückseite einen der berühmten Brüder aus der Stadt Katane in Sizilien. Amphinomus und Anapias retteten der Sage nach ihre Eltern vor einem Ausbruch des Vulkans Ätna, indem sie sie auf den Schultern in Sicherheit trugen.
Denar aus dem Jahre 81 v. Chr. Die Vorderseite zeigt einen weiblichen Kopf, davor ein Storch; die Rückseite eine Elefanten, darunter die Buchstaben QCMPI. Der Münzmeister ist Quintus Caecilius Metellus PIUS Imperator. Den ehrenden Beinamen erhielt er, als er seinem Vater die Rückkehr aus der Verbannung nach Rom ermöglichte. Sicherlich zeigt die Vorderseite ein Bild der Pietas. Der Storch ist ein Symbol dieser Tugend, denn er soll seine Eltern im Alter mit Futter versorgt haben. Das Bild der Rückseite ist reine Familienpropaganda. 251 v. Chr. besiegt ein L. Caecilius Metellus die Karthager auf Sizilien, und zeigte alle dort gefangenen Elefanten in Rom bei seinem Triumphzug. Denar, geprägt ca. 45/44 v. Chr. Vs. Kopf Pompeius des Großen, Rs. Pietas hält Zweig und Zepter. Dieser Denar wurde nicht zu Lebzeiten des großen Pompeius geschlagen, sondern von seinem jüngeren Sohn Sextus Pompeius. Die Darstellung der Pietas zeigt, daß Sextus Pompeius bereit war, den Tod seines Vaters und seines älteren Bruders zu rächen. Aus diesem Grunde hatte er den Beinamen "Pius" angenommen. Doch ebenso wie Caesar den Pompeius besiegte, so bezwang Octavian dessen Sohn und ließ ihn 35 v. Chr. töten.
Die erste Darstellung der Pietas währen der römischen Kaiserzeit finden wir unter Tiberius. Drusus der Jüngere, Sohn des Tiberius und vorgesehener Nachfolger, prägte 22/23 n. Chr. Dupondien, die mit der Inschrift PIETAS einen wunderschönen Frauenkopf zeigen. Möglicherweise ist dies ein idealisiertes Portrait der Livia, Gattin des verstorbenen Augustus und Mutter des Tiberius. Noch wird hier der Bergriff der Pietas in altrömisch republikanischem Sinn gebraucht, die Pietas des Drusus gegenüber seinem Vater und seiner gesamten Familie. Doch bald sollte der Begriff allumfassender werden. Im 2. /3. Jahrhundert ist die klassische Darstellung der Pietas die einer verschleierten Göttin, welche über einem brennenden Altar opfert. Die Umschrift PIETAS AVGVSTI zeigt, daß der Kaiser seine Fürsorge nicht mehr auf den engen Familienkreis beschränkte, seine Pietas galt allen Bürgern des römischen Reiches.